Einwanderung: Wie unflexible Bürokraten Hilfe für Flüchtlinge blockieren

Nach wie vor wollen viele Deutsche Flüchtlingen helfen – haben dabei aber oft das Gefühl, auf bürokratische Hürden zu stoßen. Manche sind daraufhin so frustriert, dass sie ihre Hilfsangebote zurückziehen. Bernd Gasser hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Der 64 Jahre alte Pensionär lebt mit seiner Frau in einem geräumigen Einfamilienhaus im grünen Berliner Norden, wenige Gehminuten vom Tegeler See entfernt. Den 60 Quadratmeter großen Souterrain-Teil des Hauses wollte er ausbauen und an eine Flüchtlingsfamilie vermieten. Aus der Waschküche sollte eine Küche, aus zwei weiteren Räumen Bad und Schlafzimmer werden. In die frisch gestrichenen Räume fällt Tageslicht aus dem Garten, den die Flüchtlinge mitbenutzen könnten. Die Zimmer wirken alles andere als beengt. Aber sie sind nur 2,30 Meter hoch. Und die Berliner Bauordnung schreibt eine Mindesthöhe von 2,50 Metern für Wohnraum vor. Es gibt zwar auch einen Paragrafen, der Ausnahmen zulässt. Doch das war dem zuständigen Bauamtsleiter des Bezirks Reinickendorf zu heikel. Gasser, ein Mann mit tiefer Stimme, selbstsicherem Auftreten und von vielen Italienurlauben gegerbter Haut, hatte bei einem Kochabend der Organisation „Über den Tellerrand schauen“ syrische Flüchtlinge kennengelernt, die an diesem Abend Deutschen Kochrezepte aus ihrer Heimat beibrachten. Das hat ihm gefallen: eine Begegnung auf Augenhöhe, bei der er nicht automatisch in der Rolle des Helfers war. Gasser wollte die Wohnung auf eigene Kosten ausbauen Seine Frau und er begannen zu überlegen, ob sie nicht dauerhaft solche Begegnungen ermöglichen und ihr Haus mit einer Flüchtlingsfamilie teilen könnten. Sie gingen dann zu einer Wohnberatungsstelle für Flüchtlinge. Dort hätten die Mitarbeiter ihm am liebsten gleich eine der vielen Familien zugeteilt, die hilfesuchend im Minutentakt auftauchten, erzählt Gasser. Aber er musste ja noch die Ausbauarbeiten machen. Zuschüsse gebe es nicht, erfuhr er. Also wollte er auf eigene Kosten Bad und Küche einbauen. Um sicher zu gehen und wirklich alles richtig zu machen, kontaktierte er das Bauamt. Und erfuhr: Ein Ausbau sei leider nicht möglich. Gleichzeitig sah er tagtäglich Berichte über all die Menschen, die bei zunehmender Kälte vor dem Lageso schlafen, dem Amt, das in Berlin Flüchtlinge registriert und erstversorgt. Er las in der Zeitung von der wachsenden Wohnungsnot in Berlin. Und hörte Reden von Bundespräsident Gauck und Kanzlerin Merkel, in denen es hieß: Neben Ordnung brauche es Flexibilität und Phantasie. Vorschriften müssten gelockert werden. Statt zu sagen, dass etwas unmöglich sei, müsse man fragen, wie es möglich gemacht werden könne. Gasser wurde wütend und schrieb einen offenen Brief, den er an verschiedene Zeitungen schickte. Kurz darauf rief ihn der Bauamtsleiter an. Inzwischen hat sich die Senatsbauverwaltung die Räume angeschaut. Noch ist offen, ob das etwas ändern wird. Unterdessen hat jedoch der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung auf Gassers offenen Brief geantwortet und ihm vorgeworfen, einen „Schwarzbau“ zu unterhalten und sich mit seinem Brief selbst „ans Messer geliefert“ zu haben. Gasser ist fassungslos. Auch Klara Wallner wollte sich für Flüchtlinge engagieren – und hat wegen bürokratischer Hürden aufgegeben. Die Kuratorin lebt in Berlin-Mitte und hilft bei der Organisation „Moabit hilft“, die Flüchtlinge rund um das Lageso unterstützt. Ihr fiel auf, wie viele unbegleitete Kinder in der Schlange vor dem Amt standen. Kein Geld für die Ausbildung von Flüchtlings-Mentoren Dann rief die Stadträtin Christa Markl-Vieto in der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ dazu auf, Patenschaften für minderjährige Flüchtlinge zu übernehmen. Wallner sprach mit einem Freund, der wie sie selbst viel unterwegs ist, sich aber auch gerne engagieren wollte. Sie beschlossen, sich gemeinsam um ein Kind zu kümmern, es zum Amt und zum Arzt zu begleiten, zum Spielen einzuladen. Wallner, kurze graue Haare, rauchige Stimme, rief im Büro von Markl-Vieto an und erfuhr: Die könne da überhaupt nicht weiterhelfen. Ihr wurden stattdessen mehrere Organisationen genannt, die Mentoren und Flüchtlingskinder zusammenbringen. Die hatte sie aber schon zuvor alle angerufen. Das sei „lustig bis traurig“ gewesen. Oft hätten die Menschen am anderen Ende der Leitung irritiert darauf reagiert, dass sie mit dem Mann, mit dem sie zusammen die Mentorenschaft übernehmen wollte, nicht verheiratet ist. Als sie schließlich eine Organisation gefunden hatte, die sich daran nicht störte, hatte die kein Geld für die Ausbildung von Mentoren. Denn guter Wille, ein einwandfreies Führungszeugnis und ein Motivationsschreiben, erfuhr Wallner, reichen nicht aus, um einem Kind gelegentlich beiseite zu stehen: Dafür sei eine Schulung nötig, für die es zunächst keine Mittel gab. Man setzte sie auf eine Warteliste. Da verlor Wallner die Lust. Ihr Fazit: „Ich bin an der Bürokratie gescheitert.“ Das kann auch Beate Glönkler von sich sagen. Die 54 Jahre alte Körpertherapeutin hatte im September in einer Notunterkunft in Zorneding bei München den 26 Jahre alten Syrer Alaa Alkhatib kennengelernt, als sie dort bei der Essensausgabe half. Sie mochte ihn sofort und bot ihm nach wenigen Tagen an, in die dritte Etage ihres Reihenhauses zu ziehen. Doch zunächst sollte er mit dem Bus nach München fahren und sich dort registrieren lassen. Als alle Bewohner der Notunterkunft in Busse gesetzt wurden, stieg Alkhatib in einen, von dem es hieß, er fahre in die Landeshauptstadt. Doch als er sich das nächste Mal bei Glönkler meldete, war er in Biebesheim am Rhein, in Hessen. Zuständigkeiten der Behörden unklar Glönkler fuhr daraufhin mit ihrer Tochter und ihrem Enkelkind die mehr als 400 Kilometer nach Biebesheim. Dort erklärte ihr eine Mitarbeiterin der Flüchtlingsunterkunft, sie könne ihr nicht helfen. Glönkler fuhr ohne Alkhatib zurück nach Bayern und schrieb ans Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), an Merkel und Gauck. Das Bamf erklärte, sie solle sich an die Stadt Gießen wenden. Und die, das Bamf sei zuständig. Eine Mitarbeiterin von Merkel antwortete ihr, sie solle sich an ihr Landratsamt wenden. Beim Landratsamt Ebersberg hieß es dann: Solange Alkhatib keinen Asylantrag gestellt habe, könne man nichts machen. Einen Termin, um diesen Antrag zu stellen, hat der Syrer bis heute nicht bekommen. Was Beate Glönkler besonders ärgert: Bei Prominenten scheinen die strengen Regeln nicht zu gelten. Die Sängerin Sarah Connor bot dem Jugendamt an, ein Kind oder eine Familie aus Syrien bei sich aufzunehmen. „Es dauerte keine halbe Stunde, da klingelte mein Telefon“, schrieb sie darüber in einem Gastbeitrag für die „Zeit“. Und auch Kai Diekmann, Chefredakteur der „Bild“, hat eine syrische Familie in seinem Haus in Potsdam aufgenommen. Zuerst habe es auch bei ihm geheißen, die Syrer müssten in eine offizielle Flüchtlingsunterkunft. Doch nachdem Diekmann sich „ein wenig mit denen gestritten“ habe, habe die Verwaltung von Potsdam seinem Haus den Status einer Flüchtlingsunterkunft gegeben. Warten, Warten, Warten Beate Glönkler telefoniert jetzt jeden Abend mit Alaa Alkhatib. Er nennt sie „Mom“; die eigene Mutter hat er mit elf Jahren verloren. Aus ihrem Sportzimmer hat Glönkler ein Schlafzimmer gemacht; Bett, Schrank, Schreibtisch hinein gestellt. Beate Glönkler und ihr Mann warten jetzt. Darauf, dass Alaa Alkhatib seinen Asylantrag stellen kann, dass die Residenzpflicht abläuft, sein Asylgesuch akzeptiert wird und er irgendwann nach Zorneding ziehen kann. Klara Wallner möchte nicht warten, bis Hunderte Mentoren für Flüchtlingskinder geschult werden. Sie engagiert sich lieber weiter bei „Moabit hilft“ – und überlegt, einem deutschen Kind oder einem mit Migrationshintergrund zu helfen. Vielleicht geht das ja schneller und leichter. Und Bernd Gasser wartet auf die Entscheidung der Senatsbauverwaltung – und darauf, ob er tatsächlich, wie angedroht, „zeitnah Post aus dem Rathaus Reinickendorf erhalten“ wird und „zum Vorwurf der ungenehmigten Wohnnutzung“ Stellung beziehen muss. Dann wäre sein Wunsch zu helfen nicht nur verhindert worden. Sondern sogar kriminalisiert.