Folgen des Klimawandels Der Wein wird künftig anders schmecken

Steigende Temperaturen lassen Trauben schneller reifen. Gehören deutsche Winzer deshalb zu den Gewinnern des Klimawandels? Nicht unbedingt, meinen Forscher in Hessen. Sie untersuchen, wie der Klimawandel auf Reben wirkt.

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Im Versuchs-Weinberg der Hochschule Geisenheim werden Rebstöcke höheren Konzentrationen des Treibhausgases CO2 ausgesetzt. Quelle: dpa

Geisenheim In den Rebflächen an der Hochschule Geisenheim zischt und surrt es ohne Unterlass. In einem großen Freilandversuch wird den Weinstöcken in der Rheingaustadt von Forschern das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) künstlich zugeführt. Aus kreisförmig angeordneten Ringen, die in 2,50 Meter Höhe über den Rebzeilen schweben, geben Düsen geräuschvoll CO2 ab. Das Gas wird dann mit Hilfe von Ventilatoren gleichmäßig verteilt.

Die hessische Hochschule, eine bundesweit renommierte Forschungsstätte für den Weinbau, untersucht seit einem Jahr die möglichen Folgen des Klimawandels. Es geht um die Frage, wie der steigende CO2-Gehalt auf die Pflanzen wirkt. Deshalb wird die Luft mit zusätzlich 20 Prozent Kohlendioxid angereichert – um Bedingungen zu simulieren, denen die Rebe künftig ausgesetzt sein wird.

„Wir wollen wissen, wie der Wein in 35 Jahren schmeckt“, sagt Claudia Kammann, die das Projekt koordiniert. Bis dahin könnte der Volumengehalt von CO2 in der Luft bei 480-500 ppm (Teile pro Million) liegen. Derzeit sind es rund 400 ppm – etwa 20 Prozent weniger. Zum Vergleich: Als die Menschheit vor Jahrtausenden zum Ackerbau überging, waren es nur 280 ppm.

Die Treibhausgase – neben dem CO2 geht es auch um Lachgas und Methan – lassen die Temperaturen global steigen. Dies hat die Bedingungen für den Weinbau in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert. Austrieb, Blüte und Lese der Reben finden im Rheingau inzwischen viel früher statt.

Mittelmeer-Rebsorten wachsen in Deutschland

Auch das Mostgewicht der Trauben – ein wichtiger Indikator für die Reife – hat deutlich zugenommen. In den Weinanbaugebieten Deutschlands können inzwischen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon oder Merlot angebaut werden, die eigentlich in den Mittelmeerländern beheimatet sind.

Dem direkten Einfluss des CO2 auf die Rebe wurde bisher aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Das vom Land Hessen finanzierte Projekt FACE2FACE (Free Air Carbon Dioxide Enrichment) erforscht, ob der steigende CO2-Gehalt Wuchs, Ertrag und Qualität von Reben verändert oder zu mehr Schädlingsbefall führt. In einem anderen Teil des Langzeitprojekts sollen zusammen mit der Universität Gießen auch Gemüsepflanzen unter die Lupe genommen werden.

Die Forscher sind in die Experimente mit einigen Hypothesen gegangen. So gilt zusätzliches CO2 für das Wachstum der Reben zwar als förderlich, denn sie bilden durch Photosynthese mehr Biomasse. Nicht umsonst werden Tomaten in Gewächshäusern mit dem Gas gedüngt. Doch auf der anderen Seiten können sich bei der Rebe die Nährstoffkonzentrationen verändern.

Häufig nehme der Stickstoffgehalt ab, sagt Kammann. Daher werden bei den Freilandversuchen Proben des Ernteguts, der Pflanzenbiomasse und des Mosts genommen. Zugleich wird untersucht, wie die Reben auf Schädlinge wie den Traubenwickler reagieren.


Trockene Sommer schaden dem Wein

Die Forscher gehen sehr penibel vor: Jede Pflanze ist gekennzeichnet, überall gibt es Sensoren, die kontinuierlich die Feuchtigkeit von Laubwand oder Boden messen. Insgesamt gibt es sechs Ringe: Drei werden mit CO2 begast, die anderen dienen zur Kontrolle der Untersuchungen.

Alle Ringe sind gleichmäßig mit Riesling und der Rotweinrebe Cabernet Sauvignon bepflanzt. Ausgebaut werden dann 12 unterschiedliche Weine, die pro Ring rund 20 Liter ergeben.

Die höheren Jahrestemperaturen haben im Rheingau bereits dazu geführt, dass die Riesling-Lese im Mittel Ende September beginnt. Höhere Mostgewichte lassen manche glauben, die Winzer könnten zu den Gewinnern des Klimawandels gehören. Möglicherweise ein großer Irrtum: Denn die Sommer werden im Zuge des Klimawandels immer trockener – 2015 ist dafür ein Paradebeispiel.

Das bringt für den Wasserhaushalt der Reben viel Stress, der mit quantitativen und möglicherweise auch qualitativen Einbußen einhergeht. Wenn Wasser und kühle Nächte fehlen, dann geht dem Riesling die für ihn so wichtige Säure und Frucht verloren. Das könnte in diesem Jahr – ähnlich wie 2003 – wieder passieren.

Die schnelle Reife der Reben macht außerdem gerade den Riesling, für den der Rheingau berühmt ist, bei Feuchtigkeit gegen Pilzbefall anfällig. Die Winzer müssen aus Angst vor der Grauschimmelfäule Botrytis ihre Ernte viel schneller einbringen als früher, wie der Rheingauer Weinbauverband berichtet.

„Wir wissen einfach noch nicht genug darüber, wie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Reben sind“, sagt dazu Forscherin Kammann. Eines gilt als sicher: Der Wein wird in einigen Jahrzehnten anders schmecken.

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