Zunehmender Separatismus : „Am Ende haben die Mauern immer verloren“
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Zwischen Amerika und Mexiko gibt es schon seit Jahrzehnten eine Mauer. Bild: dpa
Der Journalist Tobias Prüwer hat ein Buch über Mauern geschrieben. Während physische Grenzen abnähmen, gäbe es immer mehr unsichtbare Trennungslinien. Ein Gespräch über Angst, Abschottung und Horst Seehofer.
Herr Prüwer, in Ihrem Buch schreiben Sie den Satz: „An den Mauern kann man einiges ablesen über den Stand der Welt.“ Was lesen Sie da?
Dass sich große Teile der Menschen einigeln, von der Welt abschotten möchten.
Zum Beispiel?
Donald Trump, der immer wieder pressewirksam zum Zaun an der Grenze zu Mexiko fährt. Da twittert er oft Bilder, die schon sehr alt sind, nur um zu zeigen, dass er sein Wahlversprechen einhält, diese Mauer hochzuziehen. Die Idee stammt ja eigentlich aus den Neunzigern. Ein anderes Beispiel sind die populistischen Bewegungen in Europa. Sie sind nicht mehr großspurig im Sinne von „Wir wollen die ganze Welt erobern“, sondern vertreten eher einen Rückzug nach innen im Sinne von „Wir haben Angst vor der Welt, vor dem ‚Fremden‘, vor dem Unbekannten“. Immer wieder höre ich da eine Rhetorik der Abschottung, wo es um Mauern und Zäune geht. Ob das nun eine ernstgemeinte oder eine beschworene Angst ist – man nimmt die Welt als bedrohlich wahr. Teils entstehen da absurde Abschottungsphantasien, wie vor ein paar Jahren bei Pegida: Da wurde in einer Rede gefordert, es solle eine Mauer um Ostdeutschland gebaut werden, um die Menschen vor dem bösen Westdeutschland zu schützen, wo die vielen Migranten und Muslime leben. Solche Phantasien sind gerade sehr virulent.
Dabei leben wir in einer Welt, in der wir alle zunehmend mobil sind. Wir bereisen den Globus und kommunizieren problemlos über Grenzen hinweg. Da passen Mauern doch überhaupt nicht mehr hinein.
Der Westen und einige andere Länder sind privilegiert, weil sie Pässe und Visa haben, um weltweit reisen zu können. Andere Menschen in anderen Ländern haben das nicht. Warenströme können sich zwar relativ frei durch die Welt bewegen, aber Menschen nicht. Da passen Mauern gut als Kontrollfunktion ins Konzept. Sie lenken Migrantenströme und Arbeitskraftströme. Oder sie halten sie eben draußen. Mauern manifestieren Ungleichheit.
Also leben wir in Europa in einer Blase. Oder gehören wir auch zu den Abschottern?
Sowohl... als auch. Wir leben natürlich in einer Blase – gerade weil wir uns abschotten. Auch um Europa gibt es Grenzmauern, und innerhalb Europas sind neue entstanden. Schengen wurde zum Teil ausgesetzt, in Ungarn wurden Zäune gebaut, um Flüchtlinge abzuhalten. Abgesehen davon, bekommen wir in Europa von vielen Mauern gar nichts mit, die weltweit entstehen oder entstanden sind. Zwischen Indien und Pakistan zum Beispiel findet eine massive Fortifizierung statt. Saudi-Arabien schließt sich mit einem Hochsicherheitszaun ein, der Milliarden kostet. In Botswana ist gerade ein Zaun Richtung Zimbabwe entstanden. An vielen Ecken der Welt entstehen gerade massive Grenzbefestigungen.
Sie schreiben deshalb von einer Renaissance der Mauer. Im Vergleich zu 1989, als die Berliner Mauer fiel, hätten wir heute fünfmal so viele. Kann das wirklich sein?
Leider ja. Das habe ich mir nicht ausgedacht, das ist durch Ausmessungen belegt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war das Signal: Die Welt wächst zusammen und wird grenzenlos. Das hat offensichtlich nichts genutzt.
Gleichzeitig sagen Sie, dass physische Mauern mehr und mehr verschwänden. Wie passt das zusammen?
Es gibt heute zunehmend Separatismen, die ohne physische Mauern funktionieren. Zum Beispiel bei der Segregation in Städten, wo Räume zerschnitten werden durch hohe Mieten oder Ähnliches. So werden Leute an Ränder gedrängt, ohne dass da eine Mauer steht, die sie trennt. Oder in Shoppingzentren, die kein öffentlicher Raum sind, sondern in denen AGBs gelten, mit denen man bestimmte Menschen ausschließen kann. Also: Es gibt viele unsichtbare Zonen. Man soll die Mauern nicht mehr sehen, aber sie sind da.