Berlin:Wie in Berlin eine "Drei-Religionen-Kita" entstehen soll

Berlin: Läuft alles nach Plan, könnten ab 2021 in der Berliner Kita je 45 Kinder aus christlichen, jüdischen und muslimischen Familien gemeinsam betreut werden.

Läuft alles nach Plan, könnten ab 2021 in der Berliner Kita je 45 Kinder aus christlichen, jüdischen und muslimischen Familien gemeinsam betreut werden.

(Foto: Drei Religionen Kita Haus)
  • In Berlin soll eine Kita entstehen, in der christliche, jüdische und muslimische Kinder gemeinsam betreut werden.
  • Insgesamt soll es 135 Plätze geben.
  • Das Projekt wäre das erste seiner Art in Deutschland.

Von Verena Mayer, Berlin

Dass die Jüdin Gesa Ederberg und die Muslimin Iman Andrea Reimann ein ungewöhnliches Duo sind, merken sie, sobald sie irgendwo zusammen im Café sitzen. "Die Außenwahrnehmung ist dann immer: ah, zwei Muslimas, eine mit Kopftuch, eine ohne", sagt Ederberg. Erstaunter wären die Reaktionen vermutlich, wenn die Leute wüssten, was die Rabbinerin Ederberg und die Vorsitzende des Deutschsprachigen Muslimkreises, Reimann, vorhaben. Die beiden wollen zusammen mit einer evangelischen Pfarrerin muslimische, jüdische und christliche Kinder erziehen. In einer Berliner Kindertagesstätte, dem "Drei Religionen Kita Haus".

Wenn alles so läuft wie die Initiatorinnen sich das vorstellen, soll demnächst im Berliner Stadtteil Moabit mit dem Bau einer Kita begonnen werden, die ab dem Jahr 2021 je 45 Kinder aus christlichen, jüdischen und muslimischen Familien betreut. Auf einer Art Campus mit Spiel- und Bewegungsräumen, einer Außenanlage und einem Gemeinschaftsbereich. Nur, dass es hier nicht wie in anderen Kitas die Spatzen-, Bären-, und Tigerentengruppen geben wird, sondern eben eine christliche, jüdische und muslimische Gruppe.

"Es geht darum, ein Wir zu kreieren", sagt die Rabbinerin

Es ist nicht das erste interreligiöse Großvorhaben in Berlin. In der Nähe des Berliner Stadtschlosses ist derzeit das "House of One" geplant, ein Sakralbau für Juden, Christen und Muslime. Ein Pionierprojekt ist die Berliner Kita dennoch. Interreligiöse Bildungseinrichtungen kann man in Deutschland an einer Hand abzählen, es gibt einige Schulen mit interreligiösen Schwerpunkten oder eine Grundschule in Osnabrück, die vom Bistum getragen wird und christliche, muslimische und jüdische Kinder unterrichtet. Die Drei-Religionen-Kita wird aber die erste ihrer Art sein.

Nur: Wie soll das funktionieren? Und wozu soll das überhaupt gut sein? Rabbinerin Ederberg hat diese Fragen schon erwartet. Sie sagt, erst einmal gehe es darum, Kitaplätze zu schaffen. Selbst in Berlin, wo das Angebot an Kinderbetreuung traditionell gut ist, steige die Nachfrage, "allein das ist schon Herausforderung genug". Die Idee hat sie schon lange, 2004 hat sie im Berliner Westen eine jüdische Kita gegründet. Dort wird Hebräisch und Deutsch gesprochen, die Kinder feiern gemeinsam Feste wie Chanukka, "es geht darum, ein Wir zu kreieren", sagt Ederberg.

Die Kita wurde am Anfang vor allem von Mitarbeitern der israelischen Botschaft in Anspruch genommen, inzwischen werden hier 80 Kinder aus aller Welt betreut, viele aus Israel oder den USA. Immer wieder bekommt Ederberg Anfragen von nicht-jüdischen Eltern. Inzwischen ist auch der Berliner Senat von dem Vorhaben überzeugt. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nannte die Kita eine "tolle Ergänzung" zu anderen Begegnungsorten. Die Initiatorinnen sitzen bei Kaffee und Keksen in der Wohnung von Kathrin Janert vom evangelischen Kirchenkreisverband, der das Projekt unterstützt. Tausend Dinge müssen besprochen werden. Etwa wie jede Gruppe ihre Religionspädagogik umsetzt und wo alle drei zusammenfinden.

Ederberg sagt, im Judentum würde man den Kindern viel über Feste vermitteln, Rosch Haschana etwa, der jüdische Neujahrstag, an dem man viel Honig esse. Sie würde dann mit den Kindern über Bienen sprechen, darüber, was Insekten leisten und dass sie bedroht sind. Reimann wirft ein, dass im Koran auch etwas zu den Bienen stehe, die zwar klein sind und oft nerven, aber heilenden Honig produzieren. "Solche Themen kann man gemeinsam bearbeiten, und man braucht dafür nicht unbedingt die Religionsbrille." Doch nicht überall herrscht so viel Einigkeit.

Ob Menschen blöd sind oder nicht, hat doch nichts mit ihrer Religion zu tun

In den vergangenen Tagen haben antisemitische Demonstrationen gegen Donald Trumps Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, Schlagzeilen gemacht, daran nahmen auch viele Muslime teil. Zuletzt kursierte das Video eines jüdischen Restaurantbesitzers, der von einem Passanten, der im Schaufenster einen siebenarmigen Leuchter entdeckt hatte, minutenlang wüst antisemitisch beschimpft worden war. Was kann man Kindern überhaupt an Toleranz vermitteln?

"Die Frage ist doch eher: Was kann man Kindern nicht an Toleranz beibringen?", sagt Pfarrerin Silke Radosh-Hinder, stellvertretende Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte. "Die Trennung wird im Laufe der Zeit angelernt, das ist der Punkt, wo wir sagen: Da probieren wir etwas anderes." Reimann sagt, es gehe auch darum, die Erwachsenen ins Boot zu holen, für die das alles auch erst mal ungewöhnlich sei.

Reimann selbst ist es gewohnt, Grenzen zu überschreiten, sie ist in der DDR aufgewachsen. Als sie sechs war, konnte die Familie nach Westdeutschland ausreisen. Sie kam nach Kreuzberg, als junge Frau konvertierte sie zum Islam und leitet inzwischen eine muslimische Kita. Mit den Kindern geht sie auch in eine Synagoge oder erzählt ihnen die Geschichte vom Heiligen Nikolaus. 2016 erhielt sie dafür einen Integrationspreis des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf. Einfach sei es nicht, erzählt Reimann. Immer wieder werde sie auf der Straße wegen ihres Kopftuchs beschimpft, inzwischen meidet sie es, in den Osten Berlins oder nach Brandenburg zu fahren.

Rabbinerin Ederberg sagt, sie verstehe ihr gemeinsames Projekt als "Vorbeugung". "Wenn man aus so seiner Kita kommt, funktionieren die simple Islamophobie oder antisemitische Stereotype nicht mehr, denn man hat muslimische oder jüdische Freunde." Iman Andrea Reimann nickt. "Wenn ich den Ali oder den David blöd finde, dann weil er die und die doofe Eigenschaft hat, und nicht weil er Moslem oder Jude ist."

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