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Digitale Infrastruktur in Deutschland Elf Schüler müssen sich einen PC teilen

Zu wenig Computer, fehlendes Fachwissen, kein Konzept: Beim digitalen Unterricht sind deutsche Schüler im internationalen Vergleich abgehängt. Das zeigt eine noch unveröffentlichte Studie.
Schulunterricht mit digitaler Unterstützung an der Voltaire-Schule in Potsdam

Schulunterricht mit digitaler Unterstützung an der Voltaire-Schule in Potsdam

Foto: Bernd Settnik/ dpa

An deutschen Schulen gibt es im internationalen Vergleich massiven Nachholbedarf bei der Computernutzung, bei der IT-Kompetenz der Schüler und bei der Forschung zum digital gestützten Lernen. Zu diesem Schluss kommt der neue, bisher unveröffentlichte Bildungsmonitor der unternehmernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Das Schwerpunktkapitel zur Digitalisierung liegt SPIEGEL ONLINE exklusiv vor.

"Es fehlt an Technik und Konzepten", fassen die Autoren ihre Befunde mit Blick auf die deutschen Schulen zusammen. Weil die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien im Arbeitsalltag immer wichtiger werde, sei es "zunehmend eine Aufgabe des Bildungssystems, den Schülerinnen und Schülern den Umgang mit den neuen Medien umfassend zu vermitteln", heißt es im Bildungsmonitor.

Doch genau dafür fehlt vielen Schulen in Deutschland so ziemlich alles. Zwar haben laut Umfrage so gut wie alle einen Internetzugang. Doch häufig wird der nur für Verwaltungszwecke genutzt - und die Schüler warten noch immer auf einen WLAN-Zugang.

Die Ausstattung deutscher Bildungseinrichtungen mit digitaler Infrastruktur sei "sehr unterschiedlich", heißt es im Bildungsmonitor, genauso wie der Umgang mit Fragen der Digitalisierung. Dieser reicht von Grundschullehrern, die aus Sorge vor Datenschutzbestimmungen die Zeugnisse wieder mit der Hand schreiben, bis hin zu digitalen Vorzeigeschulen, in denen das Lernen mit digitaler Unterstützung längst Alltag ist.

Im internationalen Vergleich landet das deutsche Schulsystem deshalb nur auf einem Mittelfeldplatz. Schon bei der grundlegenden Ausstattung mit digitaler Lerntechnik konstatiert der Bericht Nachholbedarf und verweist unter anderem auf das Schüler-Computer-Verhältnis. Bei den Achtklässlern in Deutschland müssten sich demnach rein rechnerisch 11,5 Schüler einen Computer teilen. Das entspricht ziemlich genau dem EU-Durchschnitt, liegt aber sehr weit hinter den Spitzenreitern Norwegen und Australien.

Weitere wichtige Ergebnisse:

  • Nur 6,5 Prozent der deutschen Achtklässler besuchen Schulen, in denen Tablets für den Unterricht zur Verfügung stehen - in der EU-Vergleichsgruppe sind es mit 15,9 Prozent der Schüler deutlich mehr.
  • Mehr Technik hilft jedoch nur sehr bedingt: "Selbst dort, wo ausreichend Technik vorhanden ist, wird diese zu oft nicht sinnvoll genug eingesetzt", sagt Studienleiter Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Als Gründe nennt er fehlende pädagogische Konzepte und Kompetenzen der Lehrkräfte.

Wie weit die Bildungseinrichtungen in verschiedenen Ländern beim digitalen Unterrichtsalltag auseinander liegen, zeigt sich an einem Detail: Die Forscher haben ausgewertet, wie viele Schüler von ihrer jeweiligen Schule ein E-Mail-Konto zur Verfügung gestellt bekommen. Deutschland landete hier zusammen mit der Türkei abgeschlagen am Ende der Tabelle.

"Die IT-Ausstattung allein führt nicht zu positiven Effekten auf die Lernerfolge der Schüler", schreiben die Forscher. "Ohne entsprechende Unterrichtskonzepte zum Einsatz der digitalen Medien bringt die IT-Ausstattung nicht die erhoffte Wirkung." Dringend müssen demnach methodische Konzepte entwickelt werden, wie sich Informations- und Kommunikationstechnologien gewinnbringend und zielführend einsetzen lassen. Sonst drohe die Gefahr, dass die digitalen Geräte einfach nur traditionelle Unterrichtsmethoden ersetzten.

Weil Schulpolitik Sache der Bundesländer ist, versuchten die Forscher auch, einen bundesweiten Ländervergleich hinzubekommen. Das sei jedoch nicht ganz einfach gewesen, sagt Plünnecke: "Man weiß eigentlich nur sehr wenig über die PC-Ausstattung der Schulen in den einzelnen Bundesländern." Viel hänge vom Engagement einzelner Lehrer oder Schulleitungen ab.

Dennoch konnten die Autoren der Studie eine Bewertung vornehmen, indem sie aus anderen Studien und durch eigene Erhebungen fünf Kategorien an Schulen in den Blick nahmen: ob es einen ausreichenden Internetzugang gibt, wie der technische Stand der Computer ist, wie die IT-Ausstattung und das WLAN sind und ob digitale Lernplattformen eingesetzt werden. In jeder Kategorie wurden eine obere, eine mittlere und eine untere Gruppe gebildet.

Plünnecke leitet aus den Ergebnissen der Digitalstudie mehrere Forderungen ab:

  • Die IT-Ausstattung der Schulen muss verbessert werden - und zwar insbesondere an sozial schwachen Standorten, weil benachteiligte Schüler sonst noch weiter abgehängt werden.
  • Schulen brauchen professionelle IT-Administratoren - es reicht nicht, wenn sich nur engagierte Einzelpersonen um das Thema und die Geräte kümmern.
  • Eine gute Computerausstattung alleine bringt gar nichts, wenn die entsprechenden didaktisch-methodischen Konzepte fehlen. Die müssen von den Ländern dringend entwickelt werden.
  • Digitale Kompetenzen müssen in der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte durch die Bundesländer zu einem Schwerpunkt gemacht werden - wie es bereits 2016 in einer Umfrage mehr als vier Fünftel der Lehrkräfte gefordert hatten.

Details zur Studie

Es gehe bei der Entwicklung neuer digitaler Lernkonzepte jedoch nicht um einen unkritischen Umgang mit dem Computer, betonten der Verfasser des Bildungsmonitors: Wichtig sei, "dass die Schülerinnen und Schüler auch über die Risiken der digitalen Medien aufgeklärt werden und ihnen Handlungsstrategien vermittelt werden, wie mit diesen Risiken umgegangen werden kann".

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Foto: SPIEGEL ONLINE

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