Möglicher Strategieschwenk Zieht sich VW in Amerika zurück?

Die Pläne waren hochfliegend. Doch jetzt überlegt VW offenbar, sich aus dem Massengeschäft in den USA zurückzuziehen. Die Vertragshändler laufen Sturm, der Rücktritt von US-Chef Michael Horn passt ins Bild.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
VW überlegt offenbar, aus dem Massengeschäft in den USA auszusteigen. Das sorgt für Unverständnis bei den Vertragshändlern. Quelle: dpa

Man hätte eine Stecknadel fallen hören, als VW-Markenchef Herbert Diess vor knapp drei Monaten auf der Detroiter Motorshow einen unerwarteten Vorschlag machte: Muss VW unbedingt eine Massenmarke in Amerika werden? Könne man sich nicht auf gewinnträchtige Modelle wie SUVs konzentrieren?

Als die anwesenden Vertragshändler von VW ihre Sprache wiederfanden, sei die Empörung groß gewesen, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Es wäre eine komplette Umkehr der von Winterkorn ausgegebenen USA-Strategie, die lautete: wachsen, wachsen, wachsen.

Schon lange hat sich der Ärger aufgestaut. „Die Preise für die Autos sind zu hoch. Wir sind nicht Audi oder Mercedes“, kritisiert Alan Brown im Gespräch mit dem Handelsblatt. Brown ist der Präsident des amerikanischen Verbandes der VW-Händler und besitzt selbst zwei Autohäuser in Texas. Er fordert von Volkswagen ein Bekenntnis zur Massenmarke – mit niedrigeren Preisen, damit die Händler besser im Konkurrenzkampf gegen Toyota, Honda und Nissan bestehen können.



Der Konflikt dürfte kommende Woche erneut für Spannung sorgen. Am Sonntag fliegt Brown mit gut einem Dutzend anderer VW-Händler in die VW-Zentrale. Dort trifft sich das Dealer Product Council, ein Gremium, das mit dem Autobauer jährlich über die beste Produktstrategie berät. Die Veranstaltung ist so etwas wie eine konzerninterne Automesse, bei der die künftigen Modelle vorgestellt werden. „Wir müssen eine Marke mit hohem Volumen sein, das ist gut für die Händler und für den Hersteller“, stellt der Verbandschef klar.

Vertragshändler in den USA müssen wirtschaftlich unabhängig vom Konzern sein und spielen eine wichtige Rolle für den Autobauer. Die Amerikaner haben zudem eine starke Drohung in der Hinterhand: eine Sammelklage gegen VW. Nach dem Skandal um die Manipulation von Dieselmotoremissionen brach das Geschäft zusammen, die Händler könnten Entschädigung fordern. Brown sieht eine Klage aber als letztes Mittel: „Ich hoffe, dass die neue Führung unsere Bedenken aus dem Weg räumt“.

So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern

Der Widerstand der 652 Händler gegen einen Strategieschwenk ist verständlich. Sie haben Geld in eine Massenmarke investiert, mit entsprechenden Showrooms und Verkaufsfläche. Aber Diess und andere VW-Manager können die Fakten kaum ignorieren: Vor allem SUVs und Pick-ups verkaufen sich in den USA gut, nicht zuletzt durch den sinkenden Benzinpreis. Konkurrent Fiat Chrysler beispielsweise konzentriert sich nach einer jüngsten Strategieneuausrichtung fast nur noch auf dieses Marktsegment. Es locken anders als bei Mittelklassewagen hohe Gewinnmargen.

In dem Zusammenhang erscheint der Rücktritt von US-Chef Michael Horn am Mittwoch im neuen Licht. Horn hatte großen Rückhalt bei den Vertragshändlern, die sich lautstark über sein Ausscheiden beschweren. Horn habe sich entschieden für die Massenmarkt-Strategie eingesetzt, sagt Brown. Die Marktanteile von VW liegen fast überall in der Welt sehr hoch. Nicht aber in den USA. Dabei ist das Land mit mehr als 17 Millionen verkauften Fahrzeugen nach China der zweitgrößte Automarkt der Welt. Der weiße Fleck auf der VW-Karte sollte ausgefüllt werden, als der ehemalige Vorstandschef Martin Winterkorn vor Jahren ein ambitioniertes Ziel setzte: Die Marke VW sollte 2018 800.000 Fahrzeuge in den USA verkaufen.

Aber der US-Boom der vergangenen Jahre ging an der Marke VW so gut wie vorbei. Statt einer Verdreifachung des Verkaufsvolumens fiel der Marktanteil aufgrund falscher Modelle, schlechter Preispolitik und dem Skandal um die Manipulation von Dieselmotoremissionen. Der Konzern habe seit Jahren die Preise für VW-Autos etwas unterhalb von Premiummarken wie Audi und Mercedes, aber deutlich über Toyota und Nissan angesetzt. „Doch das hat in den USA nicht funktioniert“, stellt Brown klar. Auch fordern die amerikanischen Kunden schneller neue Modelle.

Die Händler fordern eine schnelle Lösung. Denn während der US-Automarkt wächst und wächst, bewegen sich die Verkaufszahlen für VW nur in eine Richtung: nach unten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%