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Terroranschlag in Paris Die Waffen des Supermarkt-Attentäters

Beim Angriff auf einen jüdischen Supermarkt in Paris Anfang 2015 wurden nach SPIEGEL-Informationen zu scharfen Waffen umgebaute Schreckschussgewehre verwendet. Eine Gesetzeslücke, die das ermöglichte, war seit Jahren bekannt.
Anschlagsort jüdischer Supermarkt

Anschlagsort jüdischer Supermarkt

Foto: KENZO TRIBOUILLARD/ AFP

Bei dem Attentat auf einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar 2015 hat der Terrorist mit manipulierten Schreckschussgewehren geschossen. Die Gewehre waren wieder zu scharfen Waffen umgebaut worden.

Der Angreifer nutzte dabei eine Gesetzeslücke in der EU aus, vor der Polizeibehörden jahrelang gewarnt hatten. Das zeigen Recherchen des neu gegründeten Europäischen Netzwerks für investigative Zusammenarbeit (EIC), dem neben dem SPIEGEL acht weitere europäische Medien angehören.

Bei dem Anschlag am 9. Januar starben vier Geiseln, der Attentäter Amedy Coulibaly wurde bei der Erstürmung von Polizisten erschossen.

Coulibaly verwendete zwei tschechische Schnellfeuergewehre vom Typ Ceska vz.58. Sie stammen aus einem Geschäft in der Slowakei. Die ursprünglich scharfen Waffen aus Armeebeständen waren deaktiviert und als Schreckschussgewehren verkauft worden. Anschließend wurden sie wieder zu scharfen Waffen umgebaut.

Zwei Tage zuvor hatte sich in Paris bereits der schwere Anschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" ereignet, bei dem in dem Redaktionsgebäude elf Menschen ermordet wurden. Bei diesem Attentat wurden scharfe Sturmgewehre verwendet. Die "Charlie-Hebdo"-Attentäter und Coulibaly sollen sich gekannt haben.

Bereits im Jahr 2008 hatte die EU-Kommission bei einer Novelle ihrer Feuerwaffenrichtlinie angekündigt, gemeinsame Leitlinien zu erlassen, um sicherzustellen, dass deaktivierte Waffen "auf Dauer unbrauchbar sind". Die Ankündigung wurde bis zu den Anschlägen im Jahr 2015 nicht umgesetzt. Neue Deaktivierungsleitlinien treten erst jetzt, im April 2016, in Kraft.

Allerdings fallen reaktivierte Schreckschusswaffen, wie der Supermarkt-Attentäter von Paris sie verwendete, weder unter die Richtlinie von 2008 noch unter die neuen Leitlinien. Dabei hatte es im Jahr 2013 eine eindringliche Warnung gegeben, dass Schreckschusswaffen illegal wieder aktiviert werden. Die slowakische Polizei hatte auf einem Plakat in englischer Sprache 2013 detailliert vor der Reaktivierung genau solcher Ceskas vz.58 gewarnt, mit denen der Pariser Attentäter mordete. Die EU hatte die Warnungen gekannt und darüber diskutiert, wie sich aus Papieren der Kommission ergibt.

Seit Sommer 2015 gelten nun auch in der Slowakei für den Umbau von scharfen in Schreckschusswaffen strengere Vorschriften. So sollen Privatkunden solche Waffen nicht mehr über das Internet bestellen können. Zudem müssen die Gewehre und Pistolen technisch aufwendiger deaktiviert werden, bevor sie in den Handel kommen.

Bei einem Test zeigte sich allerdings, dass unter Vorlage von Papieren, die jeder aus dem Internet herunterladen kann, die slowakische Waffenfirma auch einem Journalisten des EIC einen Internetkaufzugang für Waffenhändler gewährte. Nach Angaben eines deutschen Waffenexperten ist das reaktivieren der Schreckschusswaffen immer noch möglich, wenn auch mit einem höheren Arbeitsaufwand als früher.

Das Journalistennetzwerk stieß bei seinen Recherchen auch auf zwei bisher unbekannte Fälle, in denen Bosnier versucht hatten, scharfe Kalaschnikows und Handgranaten durch Deutschland zu schmuggeln.

So nahm ein Sondereinsatzkommando der Polizei am 23. September an einer Autobahnzufahrt in Aachen einen Ex-Polizisten aus Bosnien und seinen deutschen Beifahrer fest.

Im Auto der beiden fanden die Ermittler vier zerlegte Zastava M70 - Kalaschnikows serbischer Bauart, zwei Sprengsätze und 25 Handgranaten. Zwei Monate zuvor hatte schon die dänische Polizei in Rødbyhavn einen Bosnier angehalten, der mit der Fähre von Fehmarn gekommen war. Auch in seinem Mercedes stellte die Polizei zahlreiche Waffen sicher, darunter vier Maschinengewehre. Beide Fälle hängen nach Einschätzung der Fahnder zusammen. Was mit den Waffen geschehen sollte, ist zurzeit offen.