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Konflikt mit der Ukraine Russland warnt Europa vor Gas-Engpass

Der Gasstreit zwischen Moskau und Kiew spitzt sich zu. Ein Spitzentreffen kann die Gefahr eines Lieferstopps in die Ukraine nicht bannen. Stattdessen ist nun auch die Versorgung in Europa bedroht.
Gasspeicher in Rehden (Archivbild): Engpässe im kommenden Winter befürchtet

Gasspeicher in Rehden (Archivbild): Engpässe im kommenden Winter befürchtet

Foto: Joerg Sarbach/ AP

Hamburg - Er mühte sich nach Kräften, doch schlichten konnte EU-Energiekommissar Günther Oettinger den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine nicht. "Guter Wille" sei bei dem von ihm eingefädelten Spitzengespräch zwischen dem ukrainischen Energieminister Jurij Prodan, seinem russischen Kollegen Alexander Novak und weiteren Entscheidern der russischen und ukrainischen Gaswirtschaft zu erkennen gewesen, sagte Oettinger am Freitag. "Auf beiden Seiten." Vor einer Entschärfung der Lage kann aber keine Rede sein. Das zeigte sich, als Novak wenig später selbst das Wort ergriff.

Sollte die Ukraine bis Ende Mai ihre Schulden nicht zahlen, werde man "ab Juni die Gaslieferungen reduzieren", drohte Russlands Energieminister. Er habe dann Bedenken, ob die Ukraine genug Gas speichern könne, um die Versorgung Europas im kommenden Winter zu gewährleisten.

Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russische Gaslieferungen nach Europa. Im Winter wird in der EU mehr Gas verbraucht, als geliefert werden kann. Die EU-Länder und Transitländer wie die Ukraine müssen daher in den verbrauchsarmen Sommermonaten ihre Gasspeicher füllen, um die Versorgungslücke im Winter aus den eigenen Reservoirs zu schließen. Entsprechend groß ist die Sorge, dass es im kommenden Winter in den EU frostig werden könnte, wenn die Transitlieferungen über die Ukraine in den kommenden Monaten ausfallen.

Erbitterter Streit um Gaspreis

Die Fronten zwischen Russland und der Ukraine sind verhärtet. Die Regierungen beider Länder streiten über den Preis, den das ukrainische Unternehmen Naftogas für Lieferungen des russischen Staatskonzerns Gazprom zu zahlen hat. Gazprom fordert seit Anfang April 485 Dollar pro 1000 Kubikmeter, Naftogas dagegen hält 268 Dollar für angemessen - den Preis, den das Unternehmen zahlte, bevor sich die politischen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine verschärft hatten.

Russlands Staatskonzern Gazprom hatte einen Teil der Preiserhöhung von 268 auf 485 Dollar mit der Annexion der Krim gerechtfertigt. Durch diese sei ein Rabatt bei den Gaslieferungen hinfällig geworden, den Moskau Kiew bis dahin für die Nutzung des Krim-Hafens Sewastopol gewährt hatte, hieß es. Nachdem die Krim nun nicht mehr zur Ukraine gehört, ist das sogenannte Charkow-Abkommen aus russischer Sicht hinfällig - und damit auch der Rabatt. Gazprom fordert von der Ukraine nun nicht nur einen höheren Gaspreis, sondern auch noch die Erstattung des gesamten Rabatts, der ihr während der vergangenen vier Jahre wegen Sewastopol gewährt wurde. Gesamtkosten: 11,4 Milliarden Dollar.

Die Ukraine zeigt sich über die Preiserhöhung und die Nachzahlungsforderung entrüstet. Die neue ukrainische Regierung wirft Russlands Präsident Wladimir Putin vor, über den Gaspreis politischen Druck ausüben zu wollen. Die neue Regierung in Kiew ist der EU zugeneigt, was Putin missfällt. Gleichzeitig provoziert die Ukraine aber auch ihrerseits Russland. Schon seit Monaten zahlt sie ihre Gasrechnung nicht mehr. Ihre Schulden allein für nicht bezahlte Gaslieferungen belaufen sich nach Darstellung von Gazprom inzwischen auf 3,5 Milliarden Dollar.

Noch vier Wochen bis zum Lieferboykott

Über einen angemessenen Preis habe es am Freitag keine Einigung gegeben, sagte Oettinger. Er sei besorgt, dass durch den Gasstreit "die Versorgungssicherheit in den Märkten der EU, aber auch in anderen europäischen Ländern und in der Ukraine nicht garantiert ist". Zahlreiche strittige Punkte müssten rasch ausgeräumt werden, darunter ein angemessener Gaspreis für die Lieferungen der vergangenen Monate und ein angemessener Preis für künftige Lieferungen. Auch brauche man eine zuverlässige Regelung für Kiews Schulden und für die Versorgung der EU im kommenden Winter.

Die Kontrahenten haben nur noch vier Wochen Zeit, eine Lösung zu finden. So lange habe Russland garantiert, der Ukraine noch die vereinbarte Gasmenge zu liefern, sagte Oettinger. Um den Streit zu schlichten, seien zwei weitere Verhandlungen im Mai vorgesehen.

Sollte es zu keiner Einigung kommen, würde die Regierung in Kiew sich vermutlich aus den Transitleitungen nach Europa bedienen - so hat sie es bislang fast in jeder Gaskrise gemacht. Russland könnte seine Lieferungen daraufhin noch weiter drosseln. Am Ende droht der Totalausfall aller Transitmengen nach Europa.

Die EU hätte derzeit keine Möglichkeit, einen solchen Lieferstopp auszugleichen. Gut 125 Milliarden Kubikmeter Gas hat sie im vergangenen Jahr aus Russland bezogen, rund 27 Prozent ihres Bedarfs. Das russische Gas könnte allerdings noch an der Ukraine vorbei nach Europa geleitet werden, vor allem die Ostsee-Pipeline Nord Stream hat freie Kapazitäten. Die Ukraine könnte auch von Europa aus mit Gas versorgt werden. Firmen wie RWE haben mit Kiew entsprechende Verträge.